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LESEPROBE in den Katokomben Neuntes Kapitel: Der nette Herr Heltersdorfer
»Nanu! Ist eure reizende Gefährtin plötzlich kaffebraun geworden?«, erkundigte sich Heltersdorfer, als Max und Micha in Begleitung des als Mädchen verkleideten Ahmeds das Antiquitätengeschäft in der Dorotheer Gasse betraten. Die Jungen hatten ihre entstellenden Perücken abgelegt, damit sie wiedererkannt wurden.
»Ich wollte, es wäre nur so«, übernahm Tessis Vater die Antwort, der den Kids auf dem Fuß folgte. »Ich bin Baron von Hofstetten«, stellte er sich vor. »Meine Tochter ist nämlich seit gestern verschwunden.«
»Das tut mir leid«, antwortete der Geschäftsinhaber. »Wenn Sie sie aber bei mir suchen, sind sie allerdings falsch. Ich habe sie seit dem Besuch vor ein paar Tagen leider nicht mehr gesehen. Fürchten Sie denn, dass ihr etwas zugestoßen ist?«
»Ja, wir sind sehr beunruhigt, weil wir seit gestern nichts mehr von ihr gehört haben.«
»Und wie kommen Sie darauf, dass sie in der Dorotheer Gasse war?«
»Wir nehmen an, dass sich Tessi nach dem Verbleib meines Bruders erkundigen wollte, der das Antiquitätengeschäft nebenan betrieben hat, ehe es Selim übernahm.«
»Wie war doch Ihr Name?«, fragte der alte Herr ... »Ach ja, von Hofstetten!«, gab er sich selbst die Antwort. »Ja, das stimmt. Ein von Hofstetten war lange Zeit mein Ladennachbar. Ein angenehmer und gebildeter Herr, dem man ansah, dass er aus gutem Hause kam. Er hat das Geschäft vor einem Jahr abgegeben, als sein Vater krank wurde. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen ... Da hat ihre Tochter offenbar am falschen Platz gesucht.«
»Dann war sie hier?«, mischte sich Micha ein.
»Nein! Das wollte ich damit nicht sagen. Ich meinte, sie hätte am falschen Platz gesucht, wenn sie hier gewesen wäre. Ich kann das aber nicht bestätigen. Vielleicht hat sie Nachbarn in der Planken Gasse angesprochen.«
»Dann entschuldigen Sie die Störung«, sagte von Hofstetten und tat so, als wollten sie gehen.
»Keine Ursache!«, erwiderte Heltersdorfer. »Aber Sie werden verstehen, dass ich langsam neugierig werde … Warum suchen Sie Ihren Bruder unter einer so alten Adresse. Sie müssten doch Lebenszeichen aus jüngster Zeit haben.«
»Das ist eine unerfreuliche Geschichte«, erwiderte von Hofstetten bedächtig. »Wenn wir ihn nicht finden, müssen wir die Polizei einschalten, was wir bisher vermieden haben. Aber ich glaube nicht, dass wir Sie damit behelligen sollten.«
»Warum?«, antwortete der Alte. »Das klingt irgendwie aufregend. Das Geschäft ist so früh noch leer, sodass ich Zeit habe. Kommen Sie in mein Büro. Da können wir ungestört reden.«
Von Hofstetten und seine Begleiter, die auf so was gewartet hatten, ließen sich das nicht zweimal sagen. Kurze Zeit später saßen sie auf den Besucherstühlen und erstatteten den erbetenen Bericht.
»Bedauerlich, aber wahr«, begann Tessis Vater. »Wir glauben, dass mein Bruder der Kopf einer internationalen Bande ist, die illegal ausgegrabene Altertümer aus Ägypten nach Österreich verschiebt.«
»Das wäre ein starkes Stück«, äußerte Heltersdorfer und vergaß seine Pfeife anzuzünden, die er gerade in die Hand genommen hatte. »Haben Sie Beweise dafür?«
»Es ist eine ganze Menge passiert, das ich jetzt im Einzelnen nicht erzählen kann. Wir sind uns aber sicher, dass mein Bruder die Beute aus einem beraubten Pharaonengrab hier in Wien versteckt hat. Da Selim offenbar zu seiner Bande gehört, liegt es nahe, dass dies in den Räumen nebenan geschieht.«
»Wenn Sie das feststellen wollen, dann kommen Sie zu spät. Der Laden ist inzwischen leergeräumt.«
»Das ist richtig«, bestätigte Micha. »Wir haben uns davon überzeugt.«
»Dann ist ›die Spur kalt geworden‹, wie es in Krimis immer so schön heißt! Nicht, dass ich mir alles ansehe, was im Fernsehen so läuft. Aber ab und zu stößt man doch darauf und bleibt daran hängen! ... Aber ich schweife ab: Wollen Sie jetzt die Sache aufgeben?«
»Sie erwähnten bei unsrem ersten Besuch«, mischte sich Max ein, »dass ihr Haus über unterirdische Gewölbe verfügt, in denen Sie Ihre Antiquitäten während des Krieges sicher unterbringen konnten.«
»Ja, das ist richtig ... Ach, ich verstehe. Ihr vermutet, dass es nebenan ein ähnliches Versteck gibt? … Ich fürchte, da kann ich wenig helfen.«
»Aber das Haus gehört Ihnen doch ebenfalls.«
»Freilich! … Aber ich habe es wie das Gebäude hier nur geerbt! ... Ich kenne im Nachbarhaus nur den großen Lagerraum unter dem Korridor, der leer ist. Ob noch andere Gewölbe vorhanden sind, weiß ich nicht!«
»Wäre es möglich, dass eine unterirdische Verbindung zwischen den Häusern besteht? Wenn sie denselben Besitzer hatten, wäre das doch durchaus denkbar.«
»Im letzten Weltkrieg hat man Durchbrüche zwischen Kellern gemacht, die bei Bombenangriffen helfen sollten. Aber die sind meines Wissens alle wieder zugemauert worden.«
»Können wir in Ihre Gewölbe hineingehen und uns davon überzeugen?«, fragte von Hofstetten.
»Warum nicht?«, erwiderte Heltersdorfer. »Wenn ihr das auf euch nehmen wollt, soll es mir recht sein. Ich kann euch allerdings nicht Gesellschaft leisten, da ich allein im Geschäft bin. Ein Spaziergang durch die Katakomben ist allerdings ein zeitaufwändiges Unterfangen. Da hat jede Generation nach ihrem Bedürfnis umgebaut.«
»Daran soll es nicht scheitern«, antwortete von Hofstetten. »Wir haben nichts anderes vor.«
»Aber wollten Sie nicht nach dem Verbleib Ihrer Tochter forschen?«
»Wir glauben, dass sie dort ist, wo die Altertümer versteckt sind. Sie und ihr Begleiter werden vermutlich dort festgehalten, nachdem sie der Bande zu sehr auf die Fersen gerückt sind.«
»Dass es so etwas wirklich gibt!«, äußerte der alte Herr versonnen, während er in einer Schublade herumwühlte. »Ich dachte, das komme nur in Romanen vor.« Als er den Schlüssel entdeckt hatte, holte er noch eine Petroleumlampe aus einem Schrank und zündete sie an.
»Die unterirdischen Räume sind noch so, wie sie im Mittelalter angelegt und nach und nach ausgebaut wurden«, erklärte er. »Es gibt deshalb dort unten kein elektrisches Licht.« Er öffnete die Tür unter der zum Obergeschoss führenden Treppe und stieg die ausgetretenen Steinstufen hinunter, die in einem unbeleuchteten Tonnengewölbe endeten. Heltersdorfer schlurfte voran und führte die Besucher zu einer Pforte. Er entriegelte die Tür und steckte dann den langbärtigen Schlüssel ins Schloss und öffnete.
»Das ist ein echtes Meisterstück«, äußerte er stolz. »Das knackt garantiert niemand. Leider sind nicht mehr viele von diesen Kostbarkeiten erhalten geblieben. Man kann sie auch nicht mehr kaufen.«
»Verwahren Sie noch Waren in den Gewölben?«, fragte nun Max. »Bei dem reichen Warenbestand brauchen Sie doch sicherlich ein Lager?«
»Ich nutze nur noch einen Raum in der ersten Tiefebene, den ich gesondert unter Verschluss halte. Ihr werdet verstehen, dass ich euch den Schlüssel dazu nicht aushändige. Geschäftsgeheimnisse und so! Die Konkurrenz schläft nicht, wie ihr bestimmt wisst.«
»Weshalb schließen Sie hier oben nochmals ab und benutzen zusätzlich noch einen Riegel?«
Helterdorfer kicherte leise. »Um mich zu schützen, Kinder. Um mich zu schützen! … Die anderen Stockwerke dort unten stehen schon so lange leer, dass ich mich selbst nicht mehr hineinwage. Das dritte Geschoss wird, wie man mir sagte, sogar schon seit Generationen nicht mehr betreten. Da soll sich irgendetwas Schreckliches ereignet haben. Wer weiß, was da unten so alles haust. Aus diesen Gründen ist die Zugangstür hier oben immer doppelt gesichert … Aber ihr werdet ja schon merken, was da los ist. Sagt später nicht, ich hätte euch nicht gewarnt!« Er zwinkerte lustig mit den Augen. Seine Zuhörer wussten nicht, ob er es ernst meinte oder nur spaßte.
»Das hört sich ja schlimm an«, sagte von Hofstetten und versuchte die Sache ins Lächerliche zu ziehen. »Ich gehe davon aus, dass Sie einen Suchtrupp losschicken, wenn wir in einigen Tagen nicht wieder zurück sind.«
»Machen Sie keine Scherze damit«, krächzte Heltersdorfer vergnügt. »Es ist wirklich kein Zuckerschlecken mit dem Gewicht eines vierstöckigen Haus über dem Kopf in dunklen verlassenen Gewölben herumzukriechen, wo Mäuse und Ratten noch die harmlosesten Bewohner sind. Wollt ihr nicht wenigstens die junge Dame bei mir lassen. Sie wird dort unten das Gruseln kriegen, wenn sie vielleicht auf Skelette von Menschen stößt, die aus den Gängen nicht mehr herausgefunden haben oder nach der Pest hier unten beseitigt wurden.«
»Ich habe keine Angst!«, sagte Ahmed in seiner hohen Kinderstimme, die als weiblich durchgehen konnte. »Daheim … wir spielen in Gräbern mit Knochen … und erhalten Geld für Mumien.«
»Na, na! Verrate nicht alle Geschäftsgeheimnisse«, mahnte der Antiquitätenhändler scherzhaft. »Wenn ihr eine so erfahrene Führerin habt, kann euch ja nichts mehr passieren. Dann also viel Erfolg. Ich bin selbst gespannt, was ihr dort unten alles findet … Und schließt die Tür hinter euch!«
Heltersdorfer wandte sich zum Gehen. »Können Sie uns ihre Lampe dalassen?«, bat der Baron. »Wir haben uns zu der Aktion spontan entschlossen und sind nicht darauf vorbereitet!« Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Sie hatten die eigene Ausrüstung bewusst im Hotel gelassen, um keinen Verdacht zu erregen.
Der Alte kicherte. »Ihr seid ja Helden! Wollt es mit der Unterwelt aufnehmen und könnt nicht einmal den Weg ausleuchten ... Hier habt ihr das Licht. Ich kann mich auch im Finstern hochtasten.« Er händigte Micha die Lampe aus und stieg dann vorsichtig wieder die Treppen hinauf.
Als seine Schritte verhallt waren, fragte von Hofstetten seine Truppe: »Wollen wir es wirklich wagen? Nach den Warnungen Heltersdorfer kann ich mir Schöneres vorstellen.«
»Natürlich!«, witzelte Max. »Wir brennen förmlich darauf, wieder unter der Erde umherkriechen zu dürfen. Nach unserem Abenteuer in Luxor kommen wir gar nicht mehr davon los ... Lasst uns also gehen!«
Micha zögerte noch. »Wir sollten uns für alle Fälle rückversichern«, sagte er dann. »Ahmed« - wandte er sich an den kleinen Ägypter - »du erhältst jetzt einen äußerst wichtigen Auftrag, den ich nicht mit dir diskutieren will. Es kann aber viel davon abhängen, dass du ihn genau ausführt: Du schleichst dich jetzt nach oben und verlässt den Laden, sobald du es unbemerkt tun kannst. Wenn mehrere Kunden gleichzeitig da sind, wird das möglich sein. Dann wartest du in einiger Entfernung auf uns. Wenn wir in zwei Stunden nicht wieder zum Vorschein gekommen sind, rufst du diese Nummer an.« Er drückte ihm einen Zettel in die Hand und überreichte ihm sein Handy. »Es wird sich mein Freund Berthold melden, der den Golf gefahren hat. Wenn du erzählst, was sich ereignet hat, wird er wissen, was zu tun ist!«
Der kleine Ägypter wollte zunächst widersprechen. Als er an Michas Miene sah, dass der es ernst meinte, wandte er sich wortlos um und verschwand lautlos auf der Wendeltreppe.
Das Buch ist der 4. Teil des Nostalgie-Romans *DAS ERBE DER BARONE VON HOFSTETTEN" und als Print und eBook erschienen. Letzteres im 99 Cent Angebot. Mit KindleUnlimited gratis! https://www.amazon.de/den-Katakombe…/…/ref=sr_1_4_twi_kin_1…